Revolution in Tunesien - Präsident Ben Ali musste fliehen German Share TweetMittlerweile überschlagen sich die Ereignisse in Tunesien, und der Präsident musste trotz Zugeständnissen an die Massenbewegung das Land verlassen. Die Revolution hat einen ersten wichtigen Erfolg gefeiert. Wir veröffentlichen eine Stellungnahme der MarxistInnen in der arabischen Welt (www.marxy.com), die gestern veröffentlicht worden war. UPDATE: Mit Video.Der großartige Aufstand des tunesischen Volkes hat revolutionäre Ausmaße angenommen. Der kaltblütige Mord an mehr als 20 Demonstranten über das Wochenende hatte nicht den für die Diktatur erhofften Effekt. Das Resultat waren nicht weniger Demonstranten, sondern mehr, und mehr Demonstranten, die entschlossener als je zuvor sind, sich nicht mehr länger einschüchtern zu lassen. Eine Sache ist nun sicher: Dieses Tauziehen mit der Diktatur wird von den Massen bis zum Ende durchgefochten werden. Video: Hichem ChoubanaRegionale Streiks haben viele Städte im Zentrum und im Osten des Landes lahm gelegt. Gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei, die wie Szenen aus der Intifada in Gaza wirken, sind ohne Unterbrechung in vielen Stadtvierteln weiter gegangen. Im Laufe von zwei Tagen ist die Bewegung auf unerreichte Größe in der jüngeren tunesischen Geschichte gewachsen. Der Kugelhagel der Polizei tötet weiterhin, aber er jagt den Massen keine Angst mehr ein. Insgesamt wurden 60 ArbeiterInnen und Jugendliche in dem Versuch ermordet, den neu aufkommenden Kampfgeist zu brechen. All das wird umsonst sein. Bedeutender ist, dass die ArbeiterInnen in Bewegung geraten sind, und zwar durch die Kanäle ihrer Gewerkschaft, der UGTT, deren zahme Führung in Opposition zum Regime gezwungen wurde. Lokale und regionale Zweigstellen der UGTT wurden mit Streikaufrufen aktiv. Dies folgenden Massendemonstrationen kamen einer faktischen Besetzung der Städte gleich.Einige Teile der Gewerkschaft, wie die Lehrer, die ArbeiterInnen aus dem Gesundheitsbereich und die Postler haben bereits eine wichtige Rolle dabei gespielt, die UGTT in den Kampf zu zwingen. Die Journalistengewerkschaft und die Anwaltsvereinigung waren ebenfalls an vorderster Front des Kampfes. Aber jetzt hat die breite ArbeiterInnenbewegung begonnen zu handeln. Demonstrationen wie die in der rebellischen ArbeiterInnenstadt Sfax oder in Kasserine bezeugen den aktiven Eintritt der ArbeiterInnen auf die Szene. Die Bilder dieser Demonstrationen enthüllen eine Einstellung der offenen Missachtung gegenüber dem Regime, eine zuversichtliche Stimmung und das Gefühl, dass der Sieg in greifbarer Nähe ist.Schon letzten Sonntag, am 9. Jänner, rief die lokale Zweigstelle der UGTT in Sfax zu einem regionalen Generalstreik auf. Mit nur wenigen Ausnahmen (Krankenhäuser und viele Bäckereien, die offen blieben, um dem kämpfenden Volk zu helfen) wurde der Streikaufruf zu 100% befolgt. In Sfax demonstrierten 30.000 ArbeiterInnen und Jugendliche auf den Straßen. In Jenduba demonstrierten am 12. Jänner 12.000 Menschen in einer Stadt mit 30.000 Einwohnern.Die lokalen Zweigstellen der UGTT sind zum Gravitationszentrum des Widerstandes gegen die Diktatur geworden. Dort werden Massenversammlungen abgehalten und die Büros werden dazu genutzt, viele Aktivitäten zu organisieren. Das ist kein Zufall. Dies kann nur durch das spezifische Gewicht erklärt werden, das diese Gewerkschaft in der kollektiven politischen Erinnerung der tunesischen ArbeiterInnen hat. Die Gewerkschaft spielte eine entscheidende Rolle im Antikolonialen Kampf gegen die französische Besatzung. Nun ist sie trotz der Rolle ihrer Führer in den letzten Wochen zu einem Eckpfeiler des Widerstandes geworden.In den letzten Tagen erreichte die Bewegung die Vorstädte der Hauptstadt, was die Regierung dazu bewog, eine Ausgangssperre auszurufen. Militärfahrzeuge und Soldaten wurden in strategisch wichtigen Punkten in Tunis postiert. Sogar Touristenziele wie Hammamet konnten sich dem Einfluss der Bewegung nicht entziehen. Unter furchtbarem Druck seiner Mitglieder riefen die Anführer der UGTT zu einem zweistündigen Generalstreik am gestrigen Freitag, den 14. Jänner, auf.In dem Bewusstsein, dass Repression allein die Bewegung nicht zurückschlagen konnte, versprach der Präsident, Ben Ali, bei drei Gelegenheiten diese Woche, Reformen und Zugeständnisse zu machen. Napoleon Bonaparte verstand vor langer Zeit schon, dass man mit Bajonetten viel machen kann, aber nicht darauf sitzen.Die Zerwürfnisse innerhalb des Regimes werden jetzt größer und größer. Angeblich wurde der Oberbefehlshaber der Armee von Ben Ali für seine Weigerung entlassen, auf die Demonstranten schießen zu lassen. Die wahre Situation in der Armee wird oft in Anekdoten deutlich, wie die des jungen Armeeoffiziers in Sidi Bouzid, der vor einem wütendem Trauermarsch eines getöteten Demonstranten salutierte.Die wichtigsten „Eingeständnisse“ wurden gestern Abend bekannt gegeben, als Ben Ali erklärte, er wolle die Zensur der Medien lüften, mehr Freiheiten einführen, den Tod von Demonstranten während der Proteste untersuchen lassen, die Polizei anzuweisen, nicht mit scharfer Munition auf Demonstranten zu schießen und nicht eine Wiederwahl als Präsident anstreben im Jahr ... 2014.Das ist ein typisches Beispiel für „es ändert sich alles und doch nichts“. Die inszenierten Demonstrationen gestern Abend von scheinbar fröhlichen Ben Ali- UnterstützerInnen im Zentrum der Hauptstadt zielten auf eine Verwirrung des Tunesischen Volkes und der internationalen Medien ab. Aber ein erwachtes Volk lässt sich nicht leicht in die Irre führen. Zu viele Versprechungen wurden in der Vergangenheit gemacht und zu viele wurden gebrochen. Foto: Hichem ChoubanaDie Bewegung hat sich auch von einem lokalen sozialen Protest in eine landesweite politische Bewegung verwandelt, die der mächtigen Staatsmacht entgegen tritt. Die Zugeständnisse jetzt sind „zu wenige, zu spät“. Niemand hat noch Vertrauen zu Ben Ali und seiner Bande, das heißt, niemand in der Masse der Bevölkerung. Es gibt immer noch einige wenige, die diesem verhassten Mann vertrauen. Die großen so genannten Oppositionsparteien, unter ihnen die ehemalige kommunistische Partei reagierten auf die Ankündigung von Eingeständnissen der Regierung mit vorsichtigem Optimismus und haben Ben Ali dazu aufgerufen, eine Koalitionsregierung zu bilden. Aber von den Massen bekommt Ben Ali eine ganz andere Reaktion, nicht die Art von Reaktion, die er sich nach den Zugeständnissen gestern Abend erwartet hatte.Die tunesische Straße hat, durch Jahre der Unterdrückung, der Lügen und des Betrugs durch die Vertreter des Regimes geschult mit ihren Füßen geantwortet. Heute morgen strömten die Massen in ganz Tunesien auf die Straßen. In der Hauptstadt versammelten sich gar Zehntausende vor den einst gefürchteten Gebäuden des Innenministeriums. Eine Demonstration vor dem „Terrorministerium“ wäre sogar noch 24 Stunden vorher undenkbar gewesen. Ein Ruf Vereint die Demonstration: Ben Ali raus! Nicht morgen, nicht 2014, sondern jetzt! Andere skandieren: „wir leben lieber von trockenem Brot und Wasser, als weiter mit Ben Ali“.Szenen der Verbrüderung zwischen der Armee und den Demonstranten wurden im französischen Fernsehen ausgestrahlt und auf der ganzen Welt verbreitet. Die Polizei, die heute morgen auf den Straßen war, wagte es nicht, einzugreifen. Später am Tag wurden frische Polizeikräfte geschickt, die versuchten, die Demonstranten mit Tränengas und Schlagstöcken auseinanderzutreiben, aber sie schafften es nicht.Andere Demonstranten entschlossen sich dazu, zum Präsidentenpalast in Karthago zu gehen und ein sit-in zu veranstalten. Hochrangige Vertreter des Regimes gehen von Bord, wie Ratten das sinkende Schiff verlassen. Das Regime verliert seinen Zugriff auf ganze Sektoren des Staatsapparates. Manche Berichte legen nahe, dass Teile der Armee sich auf die Seite der Demonstranten gestellt haben. Es wird berichtet, Journalisten des tunesischen Staatsfernsehens hätten heute rebelliert, indem sie die Fernsehstudios übernommen hätten und damit begonnen hätten, die Wahrheit darüber zu berichten, was im Land vor sich geht.Das alles sind Zeichen des Todeskampfes des Regimes. Niemand kann mehr bezweifelt, dass eine Revolution in Tunesien stattfindet. Freitag, der 14. Jänner 2011 wird als ein historischer Tag in die Geschichte eingehen. Er wird als der Tag in Erinnerung bleiben, an dem das ganze tunesische Volk gegen seinen Diktator aufbegehrte. Wieder wurde bewiesen, dass die Massen die Geschichte schreiben.Gestern fasste ein Blogger die Gefühle vieler Menschen in Tunesien sehr gut so zusammen:„Ben Ali hat vorgeschlagen, wir sollten hart „Hand in Hand“ für eine illusorische Zukunft arbeiten, aber seine Hände sind mit Blut bedeckt! Wir dürfen nicht zulassen, dass er ungestraft davon kommt.„Es wäre unverzeihlich, wenn wir unsere Landsmänner und -frauen für eine bisschen billigeres Brot, für den freien Zugang auf Youtube und die Illsuion einer Demokratie 2014 geopfert hätten, während die Freiheit in unserer Reichweite liegt, der Reichweite eines Volkes das fähig ist, ein Regime in die Knie zu zwingen.„Gestern sah ich einen gestressten und verängstigten Präsidenten... einen Präsidenten der zitterte, stammelte, manchmal schrie und außer Kontrolle geriet. Seine Rede war ein Eingeständnis der Schwäche, ein Hilferuf. Der Mann ist auf seinen Knien. Lasst es uns beenden.“Das Regime manövriert, um seine Haut zu retten und macht dabei in letzter Minute jede Menge Zugeständnisse. Ben Ali hat seine ganze Regierung entlassen bei dem Versuch, seine eigene Position zu retten. Die legalen reformistischen „Oppositionsparteien“ bereiten sich drauf vor, ihm die Hand zu reichen. Am Wahrscheinlichsten ist ein Szenario, indem sie versuchen werden eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden, mit einigen von Ben Alis Ministern zusammen mit Repräsentanten der sogenannten „Zivilgesellschaft“ und Persönlichkeiten der legalen Opposition. Höchstwahrscheinlich wird aber Ben Ali gehen müssen. So eine Regierung wäre sehr instabil und müsste mit dem Schatten des erwachten Volkes im Rücken regieren. In dieser Weise werden sie versuchen, die Massen um ihren Sieg zu betrügen.Die Massen sollten sich keinen Illusionen über diese Politiker hingeben. Der Kampf muss bis zum Ende geführt werden. Die Massen haben in einer Zeitspanne von gerade einmal vier Wochen gelernt, dass sie nur auf ihre eigene Stärke vertrauen können. Statt Macht an eine Regierung der nationalen Einheit abzugeben sollte die UGTT und alle anderen Basisgruppen von Jugendlichen, Bauern und Nachbarschaftsaktivisten demokratisch gewählte Komitees auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene gründen. Diese würden dann die demokratische und politische Grundlage für eine neue Regierung bilden, die das Ziel der Ausrottung von Armut, Arbeitslosigkeit, Korruption und Missbrauch hätte. Innerhalb der Grenzen des Kapitalismus und der imperialistischen Vorherrschaft jedoch sind diese Ziele unmöglich zu erreichen. Wahre Demokratie heißt auch, dass der gesellschaftliche Reichtum, die Wirtschaft, in Gemeinbesitz übergeht und demokratisch verwaltet wird. Das ist die Bedeutung von Sozialismus.Das tunesische Volk, seine Jugend und ArbeiterInnen, schreiben in diesem Moment Geschichte. Sie sind zum Symbol des Kampfes gegen Unterdrückung und Ausbeutung in der gesamten arabischen Welt geworden. Sie zeigen der ganzen Welt das wahre Gesicht der arabischen ArbeiterInnenklasse, eine Klasse, die bereit ist, bis zum Ende zu kämpfen. In diesem Kampf rücken nicht islamische Fundamentalisten in den Vordergrund, sondern die ArbeiterInnenklasse und ihre Organisationen. Die tunesischen ArbeiterInnen zeichnen einen Weg vor für ihre Brüder und Schwestern in Algerien und Marokko und für alle anderen Völker Nordafrikas und darüber hinaus.Es gibt kein einziges stabiles Regime in der gesamten arabischen Welt. Die gleichen Bedingungen, die die Bewegung in Tunesien entfacht haben, existieren auch in Jordanien, Syrien, Saudi Arabien, Ägypten... Die gleichen Bedingungen werden zu ähnlichen Ergebnissen führen. Was wir hier sehen ist die Entfaltung der arabischen Revolution, die sich letztendlich von einem Land zum nächsten ausbreiten wird. Die Bedingungen sind reif für einen internationalen Kampf, der nur zu einer Schlussfolgerung führen kann: dem Bedürfnis nach einer panarabischen sozialistischen Föderation. Nieder mit Ben Ali und seiner Mafiabande! Nieder mit den tunesischen und ausländischen Unterdrückern und Ausbeutern! Vorwärts zu einem sozialistischen Tunesien! Es lebe die Tunesische Revolution! Translation: Der Funke (Austria)