Iran: Repression provoziert Gegenreaktion und Rufe nach revolutionärem Generalstreik

Die vierte Woche der landesweiten Protestbewegung im Iran ist angebrochen und die Versuche des Regimes, sie zu unterdrücken, scheinen lediglich eine noch stärkere Aufwiegelung der Massen zu bewirken. Immer neue Schichten schließen sich der Bewegung an. Zur Jugend auf der Straße und an den Universitäten mengen sich nun tausende Schülerinnen und Schüler, Markthändler und wichtige Teile der Arbeiterklasse. Am wichtigsten aber sind eine Reihe von Streiks, die im Herzen der iranischen Wirtschaft – dem Öl- und Petrochemie-Sektor – ausgebrochen sind.

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Am Samstag den 1. Oktober startete das Regime eine neuerliche Welle an brutalen Angriffen auf Demonstranten auf den Straßen und in den Universitäten. Es erwartete sich, die aufflammende Bewegung im Keim zu ersticken – doch diese Erwartungen sind nun verpufft.

Hunderte, möglicherweise tausende Studierende wurden verhaftet und dutzende Universitäten wurden geschlossen, aber die Mehrheit der über 100 Universitäten, die zu einem landesweiten Studentenstreik aufgerufen hatten, blieben standhaft.

Indes schloss sich eine mächtige und inspirierende Bewegung von Schülerinnen, die das ganze Land durchdringt, den Demonstranten an. Seit die Schulen wieder geöffnet haben zirkulieren täglich zahlreiche Videos von jungen Mädchen, die Proteste an ihren Schulen starten und, ihre abgelegten Kopftücher in der Luft schwenkend, Parolen wie „Frau, Leben, Freiheit“ und „Tod dem Diktator“ rufen.

In einer Schule in Bandar Abbas nahmen die Schülerinnen ihre Kopftücher ab und liefen lauthals Parolen rufend auf die Straße, auf ihren Fersen die Bereitschaftspolizei. Ein anderes Video zeigt, wie Schülerinnen, die Kopftücher schwenkend, einen Sprecher der paramilitärischen Basidsch-Einheit mit „Basidsch haut ab!“-Rufen ausbuhen, der für eine Ansprache an die Schule gekommen war. Es gibt Berichte von Zusammenstößen zwischen Eltern und Sicherheitskräften, die versucht haben, ihre Kinder zu verhaften.

Gleichzeitig haben sich auch Händler der größten Basare Teherans (dem Großen Basar, Lalehzar, Sepahsalar, Tadschirisch), sowie in Schiras, der Bewegung angeschlossen und ihre Läden geschlossen. Sie folgen dabei dem Beispiel der Händler in der Provinz Kurdistans und in anderen kurdischen Städten, die das seit mehreren Wochen tun.

Anstatt die Bewegung zu stoppen, treibt die Repression des Regimes breitere Schichten zur Aktion. Nach einer Woche voller Unterdrückungsmaßnahmen fanden Samstagabend die bisher größten Proteste im ganzen Land statt. Erstmals erreichten sie auch zuvor unbeteiligte ärmere Arbeiterklassen-Gegenden. Videos aus Naziabad, einem Arbeiterviertel in Teheran, zeigen relativ große Protestmärsche, die sich gegen ein stattliches Aufgebot von Sicherheitskräften durchsetzen und dabei Anti-Regime Losungen rufen. Ähnliche Ereignisse werden auch aus der restlichen Hauptstadt und aus vielen anderen Städten berichtet.

In einem bemerkenswerten Video aus Naziabad sieht man Bereitschaftspolizisten, die ihre Helme abnehmen und Seite an Seite mit den Demonstranten marschieren; einer von ihnen klopft einem Demonstrationsteilnehmer solidarisch auf die Schulter. Diese Anekdoten zeugen davon, wie sehr die Moral der Unterdrückungseinheiten des Regimes vom unnachgiebigen Druck der Bewegung beeinflusst wird. Die Basis dieser Einsatzkräfte rekrutiert sich häufig aus denselben armen, konservativen Schichten, die in den letzten Jahren in radikalen anti-Regime Protesten die politische Bühne betreten haben.

In einigen Fällen haben die Protestierenden die unterschwellige Sympathie der Einsatzkräfte wahrgenommen und sie zu Solidarität aufgefordert. Auch wenn das Militär zu diesem Zeitpunkt noch nicht gespalten ist, bereiten derlei Maßnahmen den Weg für ein solches Ereignis in der Zukunft. Dafür muss die Bewegung jedoch zunächst mächtig genug werden, um das Regime ernsthaft herauszufordern.

Die Flammen des Sektierertums werden geschürt

Die Repression des Regimes erfolgt mit Härte, doch es ist auch offensichtlich, dass im Allgemeinen die Todeszahlen relativ niedrig gehalten werden. Noch wird nicht die volle Kraft des Repressionsapparats auf die Bewegung losgelassen, aus Angst, das könnte eine noch größere Bewegung provozieren – und wohl auch, weil das Regime den eigenen Einsatzkräften nicht voll vertraut. Das gilt allerdings nicht für die belutschischen und kurdischen Gebiete, zwei der am meisten benachteiligten Gegenden im Iran.

In Belutschistan ermordete das Regime zumindest 110 Menschen in den letzten zwei Wochen. 97 davon wurden am 30. September im Zuge eines Protests gegen die Vergewaltigung eines 15-jährigen Mädchens durch einen örtlichen Polizeichef getötet. Dieses Ereignis wird seither als „Schwarzer Freitag“ bezeichnet. Das Regime hat dieses Massaker fälschlich als Zusammenstoß zwischen Regime-Kräften und einem lokalen, von den Saudis unterstützten, sunnitischen Aufstand dargestellt; derartige Unruhen plagen Belutschistan seit Jahren.

In den kurdischen Gebieten sehen wir indes bürgerkriegsähnliche Szenen. Hier finden sich die bisher radikalsten und fortschrittlichsten Teile der Bewegung, die ein großes Maß an Beteiligung und Organisierung an den Tag legen. Bereits in den ersten Tagen des Protests gab es hier Rufe nach einem Generalstreik. Es begann mit Ladenbesitzern und Händlern, doch Berichte legen nahe, dass der Streik in den mehrheitlich kurdischen Städten nun auch Teile der Arbeiterklasse erfasst hat. Radikale Straßenproteste haben in mehreren Fällen erfolgreich staatliche Einsatzkräfte aus Städten oder weiten Teilen von größeren Städten vertrieben.

In der letzten Woche hat das Regime die Repression gesteigert und greift Proteste inzwischen mit Artillerie und Drohnen an. Durchgehende Explosionen und Maschinengewehre sind in Videos aus den Städten Sanandadsch und Saqqez zu hören und die Zahl der Toten scheint zu steigen. Das Regime hat außerdem Pläne verkündet, in den Nordirak einzufallen, um linke kurdische Organisationen zu attackieren, die dort Stützpunkte haben.

In der Regierungspropaganda wird ständig die Lüge wiederholt, dass die derzeitige Bewegung vom westlichen Imperialismus orchestriert sei, um einen Regimewechsel zu organisieren und den Iran mittels Unterstützung der separatistischen nationalen Minderheiten zu zersplittern.

Es stimmt, dass der US-Imperialismus und seine saudischen und israelischen Verbündeten einen Regimewechsel wollen und zu diesem Zweck reaktionäre Gruppen unter den nationalen Minderheiten unterstützten, doch es ist ihnen nicht gelungen, die Kontrolle über die gegenwärtige Bewegung zu erlangen.

Es werden keinerlei separatistischen Forderungen oder Slogans erhoben, weder in den kurdischen noch in den belutschischen oder sonstigen Gebieten, die von nationalen Minderheiten bewohnt werden. Im Gegenteil ist völlig offensichtlich, dass das Regime selbst die Taktik verfolgt, die Bewegung zu spalten, indem es versucht, Teile davon in nationale und sektiererische Bahnen zu lenken – eine Agenda, die sich mit der des westlichen Imperialismus deckt.

Dennoch sind diese Versuche bisher nicht mit Erfolg gekrönt. Im Gegenteil hat die Bewegung ein tiefes Gefühl der Solidarität zwischen den ethnischen Gruppen im Iran geweckt, die das Regime seit Jahrzehnten gegeneinander ausspielt, um sich selbst an der Macht zu halten.

Um die Unterdrückung der nationalen Minderheiten zu überwinden ist es zunächst notwendig, einen gemeinsamen Kampf aller Völker im Iran gegen ihren gemeinsamen Feind zu führen: die iranische herrschende Klasse. Und dafür ist der Eintritt der organisierten Arbeiterklasse in den Kampf essenziell.

Die Arbeiter treten in Bewegung

Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wurde am Montagmorgen getan, als etwa 4.000 Arbeiter der Petrochemie-Unternehmen Bushehr, Damavand und Hengam ihre Arbeit niederlegten und in einen unbefristeten Streik zur Unterstützung der Bewegung traten. Das Sadra-Werk wurde von den Bossen in Erwartung eines Streiks vorsorglich geschlossen.

Diese Unternehmen operieren im Petrochemie-Komplex in Assaluyeh – einer der größten seiner Art weltweit. Nach der Arbeitsniederlegung blockierten die Arbeiter die Zufahrtsstraße zum Komplex mit Steinen und brennenden Teerfässern begleitet von Rufen wie „Tod für Khamenei“ und „Nennt es nicht Protest – das ist eine Revolution!“ Später am selben Tag steckten die Arbeiter die örtlichen privaten Sicherheitsgebäude in Brand.

In den Videos hört man einen der filmenden Arbeiter sagen: „Lang lebe der Iran! Lang leben die Luren, die Türken, die Kurden, Araber und die Bachtiaren!“ Diese Zurschaustellung von Klassensolidarität über ethnische Grenzen hinweg ist eine Antwort auf die Vorwürfe des Regimes, dass die streikenden Arbeiter separatistische, nationalistische Minderheitenbewegungen repräsentieren würden. Sie zeugt vom internationalistischen Instinkt der Arbeiterklasse, ihr Potenzial alle Gesellschaftsschichten in einem revolutionären Kampf zu vereinen und wie der gemeinsame Kampf die nationale Unterdrückung überwinden kann.

Die Arbeiter mehrerer nahegelegener Unternehmen schlossen sich später ebenfalls dem Streik und der Demonstration an. Es gibt Berichte, dass örtliche Sicherheitskräfte verstärkt wurden und die Straßen zu den protestierenden Arbeitern blockieren, um andere Gruppen daran zu hindern, sich ihnen anzuschließen.

Doch nur wenige Stunden nachdem der Streik in Assaluyeh ausgebrochen war traten auch Arbeiter des Abschnitts 12 des South Pars Petrochemie-Komplexes in Kangan – ein weiterer Riesenkomplex – in Streik, sowie auch in der Abadan Ölraffinerie. Dieser historische Ort war der Mittelpunkt des dreimonatigen Generalstreiks, der den Weg für den Sturz des verhassten Schahs Mohammad Reza Pahlavi in der 1979er-Revolution bereitete. Im Streik vom Montag stand Abschnitt 2 der Aabadan-Raffinerie gänzlich still und Arbeiter mehrerer Frachtspeditionsfirmen schlossen sich an.

Diese Streiks werden mehrheitlich von Leiharbeitern getragen. Ihnen gingen letzte Woche zwei Warnungen des „Council for Organising the Protests of Oil Contract Workers” (COPOCW) voraus. Dieser Rat zur Organisierung der Öl-Leiharbeiter-Proteste hat in den vergangenen Jahren eine Reihe landesweiter Streiks angeführt. Eine ähnliche Warnung wurde nun auch von einer unbekannten Gruppe von fixangestellten Arbeitern veröffentlicht. Diese Arbeiter bedienen die wichtigsten Bereiche der iranischen Öl- und Petrochemieindustrie. Nach dem Beginn des montägigen Streiks veröffentlichte das COPOCW folgende Stellungnahme auf ihrer Telegram-Seite, eingeleitet von einem Gedicht eines radikalen zeitgenössischen Dichters:

„Wir werden streiken: gegen schrottreife Busse, gegen ein tierisches Leben, gegen Bettwanzen-verseuchte Schlafsäle, gegen schmutziges Essen, gegen Stoßarbeit, gegen die Stunde, in der sie verkünden, dass du Überstunden schieben musst, gegen Aufstehen zu unmenschlichen Zeiten, gegen unbezahlte Löhne, gegen unbezahlte Sozialversicherung, gegen die Uhr, die einen mehr zerrüttet, als ein bebender Bus, gegen die ‚Mächte des Projekts‘ – gegen all das werden wir morgen protestieren.

Der Rat zur Organisierung der Öl-Leiharbeiter-Proteste ruft alle Ölarbeiter – seien es Projektangestellte, Fixangestellte oder Akkordarbeiter, Treibstofftransporteure oder Arbeiter im operativen Betrieb, Kollegen, die im staatlichen Bohrbetrieb, dem Abbau, den Raffinerien oder der Petrochemie arbeiten – dazu auf, sich einem landesweiten Streik des Ölsektors anzuschließen, in Solidarität mit den Massenprotesten. In diesem Solidaritätsstreik verlangt der Organisierungsrat die unmittelbare und bedingungslose Freilassung aller kürzlich Gefangengenommenen und aller politischer Gefangener, die Säuberung der Straßen von [Einsatz-]kräften, ein Ende aller Repression und einen Prozess gegen jene Behörden und Täter, die die Verantwortung für den Mord an Mahsa Amini und allen durch die Repressionskräfte des Regimes getöteten in dieser Periode tragen.“

Unmittelbar nach dem Ausbruch des Streiks im Ölsektor veröffentlichte die Haft Tappeh Sugar Cane Company Gewerkschaft eine mächtige Stellungnahme. Diese Gewerkschaft genießt heute große Beliebtheit und tat sich durch ihre radikalen Streiks und Forderungen, wie etwa nach der Verstaatlichung und Arbeiterkontrolle in der Industrie, hervor. In ihrer Stellungnahme fordern sie einen landesweiten politischen Generalstreik. Wir veröffentlichen hier eine vollständige Übersetzung:

„Genossen! Unterdrückte!

Der Protest und Straßenaufstand der Mädchen der Sonne und der Revolution ist in die vierte Woche eingetreten.
Kämpfende Mädchen und Jungen haben die Straßen und Gassen mit dem Slogan „Frau, Leben, Freiheit“ erschüttert, um Freiheit und Gleichheit durch ihren glorreichen Kampf zu erlangen: Freiheit von Unterdrückung und Ausbeutung, Freiheit von Diskriminierung und Ungleichheit.

Unsere Kinder auf den Straßen brauchen Solidarität und Unterstützung, um Unterdrückung, Ersticken und Diskriminierung zu beseitigen.

In einer solchen Situation, in der das Blut unserer Kinder den Asphalt auf den Straßen färbt, haben die Anfänge der Arbeiterstreiks in mehreren Öl- und Petrochemiebetrieben diesem Kampf neues Leben und Hoffnung eingehaucht.

Es ist nur selbstverständlich, dass die Väter und Mütter, die ausgebeuteten Schwestern und Brüder, für die Gerechtigkeit und die Sache der unterjochten Arbeiterkinder an ihrer Seite stehen und die Räder der Produktion und der Reichtumsschöpfung zum Stillstand bringen.

Heute [10. Oktober] wurde der erste Funken dieser Einheit und Solidarität entfacht: mit der enthusiastischen Teilnahme der Projektarbeiter von Bushehr Petrochemie, der Abadan Raffinerie und Assaluyeh.

Die Solidarität der Arbeiter in Unterstützung ihrer Kinder, Brüder und Schwestern auf der Straße ist für diese Bewegung unbedingt notwendig.

Die Haft Tappeh Sugar Cane Gewerkschaft gratuliert ihrerseits dem Arbeiterstreik in diversen Öl- und Petrochemiebetrieben in Unterstützung der Straßenproteste.

Unsere Kinder, Schwestern und Brüder erwarten, dass sich andere Dienstleistungs- und Produktionssektoren diesem landesweiten Streik anschließen, denn Freiheit von Unterdrückung und Ausbeutung, von Diskriminierung und Ungleichheit ist nur mit Einheit und Solidarität greifbar.

Ehrliche und weise Arbeiter und Schuftende!

Der Aufstand der Mädchen auf der Straße braucht Unterstützung. Die Mädchen dieses Landes haben sich entschieden, eine gewaltige Veränderung zu bewirken, eine Veränderung, die die Befreiung der Frauen in anderen Gebieten mit sich bringen wird.

Dieser großartige und lobenswerte Aufstand sollte mit einem Streik der Arbeiter im ganzen Land verknüpft werden.

Um Diskriminierung und Unterdrückung zu beseitigen, um Armut und Elend zu beseitigen, um Brot und Freiheit zu erlangen, lassen wir die Mädchen der Sonne und der Revolution nicht alleine!

Mädchen der Sonne und der Revolution!

Am Tag des Sieges wird die ganze Welt ihren Hut vor euch ziehen – ihr habt allen eine Lektion im Aufstand und Widerstand erteilt.

Lang lebe die Einheit und Klassensolidarität der Arbeiter für Freiheit!

Für einen landesweiten Streik in den Dienstleistungs- und Produktionssektoren!“

Der Eintritt der organisierten Arbeiterklasse – insbesondere in der Ölindustrie – ist ein entscheidender Wendepunkt. Die revolutionäre Jugend hat ein inspirierendes Ausmaß an Mut und Opferbereitschaft gezeigt, doch das alleine kann das verhasste Regime nicht stürzen. Die Stellung der Arbeiter im Produktionsprozess gibt ihnen die Macht, das ganze Land zum Stillstand zu bringen und die Repression des Regimes aufzuhalten.

Noch wichtiger ist, dass ein politischer Generalstreik unausweichlich die Machtfrage auf die Tagesordnung setzt: Wer beherrscht die Gesellschaft? Die herrschende Klasse, die sich allein auf die Ausbeutung der Arbeiter und Armen stützt? Oder diejenigen, deren Arbeit allen Reichtum schafft?

Das Regime ist sich dieser Tatsache schmerzlich bewusst. Sie erinnern sich nun wieder gut des Generalstreiks der 1979er Revolution. Darum haben sie von jeher eine 0-Toleranz-Politik gegenüber Arbeiteraktivismus in den wichtigen Industrien, insbesondere dem Ölsektor, der bei weitem der wichtigste Bereich der iranischen Wirtschaft ist.
Es tauchen nun Berichte von Verhaftungen von Arbeiteraktivisten auf und von Sicherheitskräften, die in wichtigen Industriegebieten zusammengezogen werden, um gegen Streiks vorzugehen. Doch wie wir in jüngster Zeit gesehen haben, kann Repression dieser Art die gegenteilige Wirkung haben und weitere Schichten der Arbeiterklasse in den Kampf ziehen.

Die Rolle der Jugend

Die Idee eines landesweiten Generalstreiks hat bereits das Bewusstsein der Jugend auf der Straße, in den Schulen und den Universitäten ergriffen. Die Aufgabe besteht nun darin, die Arbeiter zu unterstützen und ihnen mit allen Mitteln zu helfen, um die noch junge Streikbewegung zu verbreitern.

Versuche in dieser Richtung gibt es bereits in vielen Gegenden. In Isfahan verbreitete Montagabend eine anonyme Gruppe Flugblätter auf Auto-Windschutzscheiben und in verschiedenen Teilen der Stadt, in denen die Arbeiter dazu aufgerufen werden, sich einem Generalstreik anzuschließen. Eine weitere Stellungnahme aus einer Universität in Teheran wurde auf Telegram verbreitet. Darin werden die historischen Errungenschaften des Streiks hervorgehoben und als Vorbild für den revolutionären Kampf genannt.

Diese Kampagne muss nun organisiert und systematisiert werden, um die maximale Wirkung zu erzielen. Die revolutionäre Jugend muss Wege finden, um die Arbeiter anzusprechen und ihnen in allen praktischen und organisatorischen Herausforderungen einer Streikorganisierung beistehen. Sie müssen auch die Forderungen der Arbeiter aufgreifen und sie in ihr eigenes Programm aufnehmen.

Um diese Bemühungen systematisch durchzuführen, braucht es revolutionäre Kampfkomitees, die in jeder Schule, Universität, in den Nachbarschaften und den Betrieben aufgestellt werden müssen. Sie müssen für den Streik agitieren und die nächsten Schritte der Bewegung planen. Das passiert bereits in einigen Gegenden. In der mehrheitlich kurdischen Stadt Marivan veröffentlichten revolutionäre Jugendliche folgende Stellungahme, die in den sozialen Medien weite Verbreitung fand:

„Resolution der revolutionären Jugend in den Bezirken Marivans

Resolution Nummer 1

Kämpfende Menschen Marivans!

Euer Massenaufstand begann als Protest gegen den tragischen Tod Shalier Rasoulis und setzte sich mit den landesweiten Protesten des iranischen Volkes fort, ausgelöst durch den von der Regierung verschuldeten Mord an Mahsa Amini.

Heute, 23 Tage nach dem Beginn des Mahsa-Aufstands, haben sich mehr als 100 Städte, 50 Universitäten und dutzende Schulen den Massenprotesten angeschlossen. Studierende und Lehrende haben sich dem Massenaufstand des iranischen Volkes in verschiedensten Formen angeschlossen und die Scharif-Universität für Technologie wurde wieder zu einer Bastion für Freiheit.

Die Jugend der Bezirke hat ab dem ersten Tag gekämpft. Das Volk Kurdistans hat die Taktik des Generalstreiks mit Straßenprotesten kombiniert. Indes haben islamische Terroristen am Schwarzen Freitag dutzende Menschen in Sistan und Belutschistan ermordet. Teile der Ölarbeiter sind in Streik getreten und Arbeiter im ganzen Land haben dem Regime mit weiteren Streiks gedroht. Zusammengefasst hat die Fortsetzung der Proteste eine notwendige Möglichkeit zur Organisierung geboten.

Freunde! Die iranische politische Situation wird nie zu der Zeit vor dem Mahsa-Aufstand zurückkehren. Die Frauen der Avantgarde sind Vorreiter für die Proteste in der restlichen Gesellschaft. Frauen haben nach Jahren von unterdrückerischer und tyrannischer Herrschaft eine Möglichkeit gefunden, für ihre Rechte aufzustehen. Sie haben einen Hauch von Freiheit gespürt, enthusiastisch tanzen und rufen sie auf den Straßen. Sie haben nichts mit den Frauen gemein, die es vor dem Aufstand gab und werden das auch nie mehr haben.

Daher haben wir, die revolutionäre Jugend der Bezirke Marivans, beschlossen, unseren Kampf in einer organisierten Weise fortzuführen, wie unsere Genossen in Teheran und Sanandadsch. Wir bitten alle revolutionären Jugendlichen in den Bezirken Marivans sich dieser Bewegung anzuschließen und zu helfen, die Proteste fortzuführen.
Lasst uns die Proteste mit allen Methoden und Initiativen, die uns zur Verfügung stehen, weiterführen. Indem wir unsere eigene Sicherheit beschützen, können wir die Proteste fortsetzen und uns schrittweise für ernsthaftere Kämpfe und breitere Organisationen vorbereiten.“

Eine weitere ausgesprochen interessante Stellungnahme wurde von den Studierenden der Isfahan Universität verabschiedet:

„Resolution Nummer eins: Ein weiterer Schritt vorwärts, eine riesige Versammlung der Öffentlichkeit und die Eroberung der Straßen; was sind die nächsten Schritte unserer Revolution?

Gegeben der Tatsache, dass dieser Tage die Studierendenproteste das Herzblut im Körper der Revolution sind, die die Revolution am Leben erhalten und die Situation ständig verändern, müssen wir erstens die Weiterführung der Studierendenproteste im ganzen Land betonen!

Die Regierung ist derzeit in einer ausgesprochen schwachen Position. Heute und morgen, in Städten wie Teheran, Karadsch, Arak und Kurdistan (Sanandadsch und andere Städte) verlor die Regierung eine Reihe von Straßen in den Städten und musste sich vorerst zurückziehen.

Mit Sicherheit werden diese Siege, mit ihren Aufs und Abs, schon bald in eine neue Phase eintreten. Und mit den Fehlern, die die Repressionskräfte aufgrund von Müdigkeit und Unfähigkeit machen, werden wir zweifelsohne in der Lage sein, das Kräfteverhältnis zwischen den Revolutionären und der mörderischen Regierung bedeutend zu verschieben.
In dieser Hinsicht ist der zweite Punkt die städtische Organisierung der Menschen in Form von Nachbarschafts-Protestkomitees. Mit sicheren Plattformen für kollektive Aktionen, über sichere Netzwerke wie Signal oder Telegram, können die protestierende Bevölkerung und die protestierende Jugend der Nachbarschaften die notwendigen Vorkehrungen für Essensversorgung, Planung von Aktionen, Waffen für den Protest und was sie sonst noch brauchen treffen. Nur auf diese Weise können wir die Proteste weiterführen und entscheidende Erfolge auf den Straßen erreichen.

Drittens, und das ist sehr wichtig, braucht es das zusätzliche Element namens Ausweitung eines landesweiten Generalstreiks in der ganzen Gesellschaft. Derzeit haben die Straßenproteste bedeutende Fortschritte gemacht. Mit landesweiten und Generalstreiks fühlen die protestierenden Gruppen mehr Rückhalt. Wenn die Streiks in die industriellen Herzstücke der Arbeit und des Transports vordringen, wird das Rad der Regierungsrepression defacto funktionsunfähig. Keine Armee oder Truppe kann ohne die schweren Militärausgaben überleben, die direkt von der Öl- und Petrochemieindustrie des Landes finanziert werden.

Schließlich muss noch erwähnt werden:

Indem die Proteste innerhalb und außerhalb der Universitäten aufrechterhalten werden, haben die Studierenden ihren ernsthaften und festen Entschluss für eine menschliche Revolution im Iran bekräftigt. Wir werden den Sieg erringen und auf diese Weise werden wir jede Quelle von Unterdrückung und Tyrannei zerschlagen.“

Die obigen Stellungnahmen bieten einen Einblick in die enorme Kreativität der Jugend, der Arbeiter und der Armen. Die Selbstorganisierung der Massen ist ein Merkmal einer jeden wirklich revolutionären Bewegung. Wir sahen das beim Aufstieg der Sowjets in der Russischen Revolution, und an den Nachbarschafts-Schuras („Räten“), die 1979 für kurze Zeit um die Macht im Iran rangen. Diese Strukturen bilden den Embryo einer zukünftigen Gesellschaft, die dafür kämpft, geboren zu werden.

Doch um dieses Potenzial zu verwirklichen, müssen sie zunächst alle Schichten der Massen durchdringen, insbesondere die Arbeiterklasse. Es ist unbedingt notwendig, dass die Kampfkomitees so breit wie möglich aufgestellt sind und auf lokaler, regionaler und landesweiter Ebene zusammengeführt werden, um der organisierte Ausdruck des Willens der Bewegung zu werden. Auf diese Weise kann das bisher noch ungelöste Problem der Führung angegangen werden.

Die iranische Jugend, insbesondere junge Frauen, haben enorme revolutionäre Kraft, Widerstandsfähigkeit und Opferbereitschaft an den Tag gelegt. Ohne Hilfe, ohne Organisation und mit nur wenig Erfahrung haben sie eine der größten Krisen in der Geschichte des gegenwärtigen Regimes erzeugt. Ihre Kämpfe für ein Ende der Diktatur und Unterdrückung spiegeln die Sehnsucht der Mehrheit der iranischen Massen wider.

Für sie hat das gegenwärtige Regime nichts zu bieten, außer wachsendes Elend. In einem Land, voll mit Talent, willigen Händen und enormen natürlichen Rohstoffen in seinem Boden, müssen dennoch Millionen von Menschen unter dauernder Arbeitslosigkeit und erdrückender Armut leiden. Selbst jene, die das Glück haben, eine Anstellung zu haben, bekommen – wenn sie denn überhaupt welche erhalten – Löhne, die, wenn überhaupt, kaum die allernötigsten Lebensausgaben decken. Für die Arbeiter hält die Zukunft nichts als gesteigerte Ausbeutung und Verzweiflung. Für die Jugend gibt es keine Zukunft.

Indes scheint die einzige Beschäftigung der Mullahs, die das Land regieren und ständig Frömmigkeit und Bescheidenheit predigen, eine einzige Plünderungs-Orgie zu sein, bei der sie sich an der Arbeit der Arbeiter und Armen bereichern.

Das beschreibt nicht nur die Sackgasse des gegenwärtigen Regimes, sondern des gesamten iranischen Kapitalismus. Er beweist ständig die völlige Unfähigkeit der Kapitalistenklasse, einen Ausweg für die Gesellschaft aufzuzeigen. Der Kapitalismus hat nichts zu bieten, als ständig fallenden Lebensstandard. Er hält sich nur durch die unmenschlichste Unterdrückung am Leben und durch die Spaltung der Gesellschaft entlang von Geschlecht, nationalen und religiösen Grenzen.

Der einzige Weg nach vorne für die iranische Bevölkerung besteht darin, sich über die ihnen derzeit gebotenen barbarischen Umstände zu erheben. Um wirkliche Freiheit zu erlangen, muss man den Kapitalismus selbst bekämpfen. Sie müssen die Macht in ihre eigenen Hände nehmen und eine sozialistische Gesellschaft ohne Bosse und Klerus errichten, ohne Unterdrückung und Spaltung, wo allgemeine Gleichheit und Solidarität die Grundlage für ein besseres Leben für alle legen.

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