Großbritannien: Starmer ist neuer Labour-Chef – jetzt den Kampf vorbereiten Share TweetKeir Starmer hat das Rennen um den Vorsitz der britischen Labour Party gewonnen. Seine Unterstützer im Lager der Blairisten [Anhänger von Ex-Premier Tony Blair, d.Ü.] wollen bereits Blut sehen und fordern, dass die Corbyn-Anhängerschaft aus der Partei ausgeschlossen wird.[Source]Die Parteilinke braucht eine sozialistische Politik und muss sich auf Kampf und Widerstand vorbereiten. Die Wahl von Keir Starmer zum Vorsitzenden der Labour Party ist keine große Überraschung. Starmer – der Kandidat des rechten Flügels – gewann in der ersten Runde mit 56 Prozent der Stimmen. Angela Rayner wurde unterdessen in der dritten Runde zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt. Rebecca Long-Bailey erhielt fast 30 Prozent der Stimmen der Labour-Mitglieder, während Richard Burgon ein respektables Ergebnis von über 20 Prozent der Gesamtstimmen erhielt.The Blairisten waren seit der Wahl von Jeremy Corbyn zum Parteivorsitzenden im Sommer 2015 auf Krawall gebürstet und wollen jetzt Blut sehen. Sie – und das Establishment, das sie vertreten – fordern jetzt eine Offensive gegen die Corbyn-Bewegung. Die Labour-Linke muss sich daher organisieren und auf den Kampf vorbereiten.Kampagne gegen CorbynBevor wir uns ansehen, was die Zukunft bringt, lohnt es sich, das Geschehene in einen Kontext zu stellen. Ich besitze eine Ausgabe des Financial Times Weekend Magazine vom 26./27. September 2015, die wenige Tage nach der überwältigenden Wahl von Jeremy Corbyn zum Labour-Vorsitzenden herausgegeben wurde. Das Gesicht von Jeremy befindet sich auf der Titelseite mit der Überschrift: “Jeremy Corbyn: Wie lange kann er sich halten?”Jetzt kennen wir die Antwort: viereinhalb stürmische Jahre. Es dauerte fast ein halbes Jahrzehnt, um ihn loszuwerden. Während er die Stimmen von fast 60 Prozent der Mitglieder gewann, hatte er die Unterstützung von weniger als 10 Prozent der Labour-Abgeordneten, die überwiegend aus der Ära Blair stammten (und immer noch da sind).“Es kann jetzt keinen Putsch geben, dann dann hätten wir Blut an den Fingern”, sagte ein Labour-Abgeordneter. “Wir müssen ihm Zeit geben, um zu scheitern und allen seinen Unterstützern klar zu machen, dass dies nicht funktionieren kann”, sagte ein anderer sogenannter “gemäßigter” Abgeordneter.”“Corbyns erster Auftritt in der parlamentarischen Fragerunde an den Premierminister war daher eine surreale Angelegenheit. Hinter ihm standen Dutzende von Labour-Abgeordneten, die ihn sehr gerne loswerden würden… “, erklärte der FT-Artikel. “Es wird schief gehen”, sagte damals ein anderer hochrangiger ehemaliger Minister aus den Reihen der Blairisten. “Wir wissen einfach nicht wann.”Tom Harris, ein Labour-Abgeordneter, der gerade seinen Sitz verloren hatte, hoffte, dass Corbyn innerhalb von Wochen abgesetzt werden würde. Ein “Attentäter” musste gefunden werden, behauptete er. Der Abgeordnete Graham Stringer fand die Idee einer von Corbyn geführten Labour-Regierung „erschreckend“.Die Verschwörung zum “Mord” an Corbyn wurde innerhalb weniger Stunden nach seiner Wahl zum Führer ausgebrütet. Dahinter stand das kapitalistische Establishment, das die Labour Party jahrzehntelang durch seine rechten Agenten kontrolliert hatte. Sie warfen mit allem, was sie hatten, gegen Corbyn, um ihn zu diskreditieren. Sie verfolgten und jagten ihn und verwandelten die regulären Treffen der Labour-Parlamentsfraktion (PLP) in eine Anti-Corbyn-Bärengrube.Die Labour-Rechten starteten dann 2016 ihren offenen Putsch und organisierten einen Massenrücktritt aus dem Schattenkabinett und ein großes Misstrauensvotum der PLP. Trotz all seiner Kampagnenrhetorik und seinen heutigen Lippenbekenntnissen zur “Einheit” schloss sich Keir Starmer damals dieser schändlichen Scharade an.Aber die unter Corbyn aufgebaute Massenmitgliedschaft schlug den Angriff zurück und bestätigte ihn mit einer noch größeren Mehrheit als Parteichef. Diese rechten Labour-Abgeordneten wollten unbedingt, dass Corbyn scheitert. Bei den Parlamentswahlen 2017 errang Labour jedoch den größten Stimmenzuwachs seit 1945, anstatt zu scheitern.Lügen und HetzeDer rechte Flügel war gezwungen, sich Zeit zu nehmen, und Starmer trat wieder in das Schattenkabinett ein. Während es einige Austritte von rechten Labour-Abgeordneten gab, blieb die Mehrheit in der Partei, um gegen Corbyn zu kämpfen. Sie versuchten alles – und kamen schließlich auf die Frage des vermeintlichen Antisemitismus. Sie lösten eine Flut von Lügen und Verzerrungen aus, um zu „beweisen“, dass die Labour Party antisemitisch sei. Diese Hetze wurde schnell von den konservativen Medien aufgegriffen, die Tag für Tag denselben Unsinn verbreiteten, um Corbyn zu diskreditieren.Leider hat sich der sogenannte “linke” Jon Lansman – der selbsternannte Chef von Momentum – dieser Hetzkampagne angeschlossen. Und die Führung gab nach, entschuldigte sich nacheinander und machte ein Zugeständnis nach dem anderen. Aber alles ohne Erfolg.Zum Brexit: Die Blairisten drängten die Partei zusammen mit Starmer auf eine programmatische Position, die die Forderung nach einem zweiten Referendum beinhaltete. Leider fielen auch einige linke Führer wie John McDonnell darauf herein. Viereinhalb Jahre Dolchstöße in den Rücken Corbyns (und Jess Phillips drohte, ihn in die Brust zu stechen) mit den Verleumdungen über angeblichen Antisemitismus und der Verwirrung über den Brexit ließen Corbyn schwach aussehen.Der einzige Ausweg wäre gewesen, die selbstverständliche demokratische Wiederwahl von Abgeordneten als Kandidaten durch die Parteigliederungen in den Wahlkreisen in der Parteisatzung zu verankern, um die Saboteure demokratisch abzuwählen. Die Basis der Partei war dafür und empörte sich über das skandalöse Verhalten der Blairisten.Der Schritt zur Verankerung der demokratischen Wiederwahl in der Parteisatzung wurde jedoch von den Gewerkschaftsführern blockiert. Jeremy Corbyn und John McDonnell gaben unterdessen nach und appellierten vergeblich an die „Einheit“. Dies besiegelte Corbyns Schicksal. Die Blairisten haben nach der Parlamentswahl 2019 ein Trommelfeuer gegen den Labour-Führer ins Leben gerufen und das Ausmaß der Niederlage völlig übertrieben. Am Ende wurde Corbyn zum Rücktritt gedrängt.Die Labour-Linke machte stetige Kompromisse an die Parteirechte und gab deren Druck schließlich völlig nach. Dies hatte tragische Folgen. Aber die Blairisten, die von der herrschenden Klasse unterstützt werden, waren immer in der Offensive. Es ist diese Sanftmut der führenden Köpfe der Parteilinken, die uns dorthin geführt hat, wo wir jetzt stehen.Wolf im SchafspelzStarmer hatte im Rennen um den Parteivorsitz viele Vorteile gegenüber der linken Kandidatin Rebecca Long-Bailey (RLB). Er hatte sich schon lange darauf vorbereitet, für die Position anzutreten, und legte einen Blitzstart hin. Er positionierte sich sofort als Kandidat der “Einheit” und versprach, allen Kämpfen der letzten Jahre ein Ende zu setzen. Damit fand er ein gewisses Echo angesichts der Desorientierung und Demoralisierung der Labour-Aktivisten nach der Niederlage bei der Parlamentswahl im Dezember 2019.Die linke Kampagne lief unterdessen langsam an und war verwirrt, angefangen mit RLB, die über die Notwendigkeit eines „progressiven Patriotismus“ sprach. Dies war kaum ein Programm, das Vertrauen und Kühnheit weckte. Starmer erhielt sofort die Unterstützung der kapitalistischen Medien, die ihn als als den glaubwürdigsten Kandidaten darstellten, der Long-Bailey besiegen könnte, die als Kandidatin in der „Kontinuität von Corbyn“ angesehen wurde. Die Blairisten unterstützten zunächst Jess Phillips, der die Corbyn-Jahre ausdrücklich in die Tonne treten wollte. Aber das war eindeutig zu viel für die linke Basis. Daher wechselte das Labour-Establishment seine Position und warf sein Gewicht für Starmer in die Wagschale. Das Problem für diese Damen und Herren war, dass Starmer Corbyn oder seine linke Politik nicht offen verurteilen wollte. Im Gegenteil: Wenn der Schattenminister für den Brexit das Rennen um die Parteiführung gewinnen wollte, musste er sich bei der Masse der Mitgliedschaft einschmeicheln.Je unverbindlicher Starmer war, desto besser war dies in ihren Augen. Er versuchte sogar, an seinem “linken” Image in seinen fragwürdigen Werbevideos zu polieren, in denen er unter anderem den Bergarbeiterstreik und die Kampagne gegen die Kopfsteuer in den 1980er Jahren lobte. Die einzige Erwähnung der Blair-Jahre war der Irak-Krieg, was die Blairisten zutiefst empörte. Auf der Financial Times-Website gibt es ein Video über Margaret Hodges Ansichten zur Wahl des neuen Parteichefs. Dabei befragt sie eine Reihe von Personen, unter ihnen auch Alastair Campbell. Sie überlegten, wie eine Starmer-Führung aussehen würde.“Er wäre nicht wie Neil [Kinnock] oder Tony [Blair]", sagte Margaret Hodge. Campbell stimmte zu und schien von Starmer nicht allzu überzeugt zu sein, da er die Fahne der Blairisten nicht hoch hielt. “Aber er tat dies nur, um gewählt zu werden”, sagte Hodge und hoffte, dass er sich nach seiner Wahl ändern würde. Die Blairisten hatten also keine andere Wahl, als ihn zu unterstützen und zu hoffen, dass er es schaffen würde.Rebecca Long-Bailey belegte einen starken zweiten Platz. Es gab etliche Mitglieder am linken Parteiflügel, die sich weigerten, sie zu wählen, nachdem sie das gegen Corbyn gerichtete 10-Punkte-Manifest des Zentralrats der britischen Juden (Board of Deputies of British Jews) unterstützt hatte. Dies zeigte, wie schwach sie angesichts von Einschüchterungen war. RLB sprach sich auch für Angela Rayner als Fraktionsvorsitzende anstelle des linken Kandidaten Richard Burgon aus. All dies trug nur zur Verwirrung bei den Linken bei.Was liegt vor uns?Einige Mitglieder haben angekündigt, die Labour Party zu verlassen, wenn Starmer gewinnt. Das wäre aber sehr kurzsichtig – als hätte der rechte Flügel zweifellos gewonnen. Natürlich ist Starmers Sieg ein Rückschlag. Niemand kann das leugnen. Es wird dem rechten Flügel neues Vertrauen einhauchen. Das Problem für sie ist die linke Massenmitgliedschaft, die ihnen im Weg steht. Selbst Tony Blair hat festgestellt, dass die “Gemäßigten”, um die Labour Party zurückzugewinnen, die Partei von 300.000 Mitgliedern säubern müssten! Das ist leichter gesagt als getan.Starmer wird aller Wahrscheinlichkeit nach vorerst einen Balanceakt spielen. Er wird das Schattenkabinett auswechseln, um es mit zuverlässigen Parteirechten zu füllen. Long-Bailey könnte dabei demonstrativ einen Posten im Schattenkabinett erhalten und somit dem neuen Establishment-Team als linkes Feigenblatt zur Verfügung stehen. Laut Sunday Times planen Starmer und seine Verbündeten, die Linke aus dem Schattenkabinett und der Parteizentrale zu entfernen. Aber sie müssen dabei behutsam vorgehen. Der neue Labour-Führer wird sicherlich nicht in der Lage sein, das derzeitige linke Parteiprogramm aufzugeben, ohne eine massive Gegenreaktion der Mitglieder zu provozieren.Bereits in seiner Kampagne musste Starmer, der als Abgeordneter den Londoner Wahlkreis Holborn und St. Pancras vertritt, unter anderem Maßnahmen wie die Wiederverstaatlichung von Bahn, Post, Energie und Wasser, die Abschaffung der Studiengebühren sowie die Ablehnung von Sparmaßnahmen und Kriegen befürworten, um gewählt zu werden. Starmer wird unter immensem Druck der Blairisten stehen, zu liefern. Auf der anderen Seite wird er aber auch unter Druck der Basis stehen. Der Ausgang dieser Schlacht ist noch nicht entschieden.Der Kampf in der Labour Party ist noch lange nicht vorbei. Am Ende des Tages ist es ein Kampf lebendiger Kräfte. Linke dürfen jetzt nicht aufgeben, sondern sollten bleiben und kämpfen. Ken Loachs jüngster Rat dazu war absolut richtig.KrisenepocheDies sind nicht die 1980er Jahre, als Kinnock den Labour-Vorsitz übernahm. Es sind auch nicht die neunziger Jahre, als sich die Partei unter Tony Blair dramatisch nach rechts verschob. Dies war damals eine Zeit des relativen Aufschwungs der Weltwirtschaft mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Öffnung Chinas für den kapitalistischen Markt.Heute befinden wir uns jedoch in der tiefsten Krise des Kapitalismus in seiner Geschichte. Großbritannien steht vor einer wirtschaftlichen Katastrophe. Die Konservativen und die Bosse werden Sparmaßnahmen und Angriffe auf die Arbeiterklasse fordern. Und das Establishment wird Starmer auffordern, dass Labour ein solches Programm unterstützt. Aber die linke Massenmitgliedschaft wird etwas dazu zu sagen haben!Die ganze Welt befindet sich in einem beispiellosen Umbruch. Der Kapitalismus deckt täglich seinen Bankrott auf. Es gab nie einen besseren Zeitpunkt, um für eine klare sozialistische Politik einzutreten. Natürlich werden die Kapitalisten verlangen, dass Starmer “verantwortungsbewusst” und als “Staatsmann” handelt. Sie könnten sogar versuchen, ihn in eine Art nationale Allparteienregierung zu ziehen. Aber all dies würde eine massive Gegenreaktion innerhalb der Labour Party hervorrufen.Das kapitalistische Establishment drängt bereits darauf, dass Starmer die Linke aus dem Wege räumt und das Thema Antisemitismus dabei als Vorwand benutzt. Sie werden die Labour Party von „Corbynistas“ reinigen wollen. Aber das wird ein Battle Royale-Spiel eröffnen.Nicht trauern – organisieren!Die Linke muss sich festigen und neu formieren. Momentum hat sich als Werkzeug für die Linke als unzureichend erwiesen. Rebecca Long-Bailey, die linke Kandidatin, erhielt fast ein Drittel der Stimmen, was ein beträchtlicher Anteil ist. Diese Stärke der Parteilinken ist weitaus größer als die unter den früheren Parteichefs Blair, Brown oder Miliband. Es ist eine mächtige Kraft – wenn sie denn organisiert wird.Richard Burgon scheint sich mit seinen hervorragenden Wahlaussagen zugunsten einer demokratischen Auswahl der Parlamentskandidaten und eines neuen Sozialisierungsartikels in der Parteisatzung (Clause IV) als der wahre Fahnenträger der Linken herausgestellt zu haben. Burgon muss jetzt auf dieser Plattform aufbauen. Dies bedeutet, sich innerhalb der Wahlkreisparteien und unter den Basismitgliedern zu organisieren und die über 90.000 Labour-Aktivisten, die für ihn gestimmt haben, zusammen zu bringen und diese Kraft mit den linken Gewerkschaften zu bündeln, die ihn unterstützt haben. So kann der Widerstand gegen den rechten Flügel aufgebaut werden.Wir haben eine Welt zu gewinnen. Dies ist keine Zeit, um das Schlachtfeld zu verlassen. Es ist vielmehr genau die Zeit, sich anzuschließen und zu kämpfen! Wir müssen Vertrauen in unsere Ideen und Vertrauen in uns selbst haben. Der Kampf, die Labour Party in eine Waffe zur Veränderung der Gesellschaft zu verwandeln, verläuft nicht geradlinig und war es auch nie.Es wird dabei zwangsläufig Höhen und Tiefen geben. Aber die endemische Krise des Kapitalismus wird neue Schichten von Arbeitern in die politische Aktivität treiben. Die Labour Party, die sich auf die Massengewerkschaften stützt, bleibt die Partei der Arbeiterklasse – der einzige Sammel- und Bezugspunkt für Arbeiter auf der politischen Ebene. Unsere Aufgabe bleibt die gleiche: die Unterwanderung der Partei durch Konservative zu stoppen, die sich als Labour-Abgeordnete tarnen.Aufgrund der Ereignisse wird die Labour Party in den kommenden Jahren eine tiefe Umwälzung erfahren. Dies wird den Weg für eine echte sozialistische Massenarbeiterpartei ebnen, die auf die sozialistische Veränderung der Gesellschaft setzt. Die marxistische Tendenz – vertreten durch den Socialist Appeal – wird dabei in den bevorstehenden Kämpfen eine entscheidende Rolle spielen. Wir werden Basismitglieder mobilisieren und die Rechte mit einer mutigen sozialistischen Politik bekämpfen, die die einzige Antwort auf die Krise des Kapitalismus ist. Wir fordern alle dazu auf, sich uns bei dieser Aufgabe anzuschließen.