Der Fall der Berliner Mauer: Zwanzig Jahre danach

Im Jahr 2009 haben wir es mit vielen Jahrestagen zu tun, u. a. der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, der Gründung der Kommunistischen Internationale und der Asturischen Kommune. Keines dieser Ereignisse findet in der kapitalistischen Presse ein Echo. Aber es gibt einen Jahrestag, den sie nicht vergessen: Am 9. November 1989 wurde die Mauer, welche die Bundesrepublik von der DDR trennte, geöffnet.

Der Fall der Berliner Mauer ist als Synonym für den Zusammenbruch des "Kommunismus" in die Geschichte eingegangen. In den letzten zwanzig Jahren seit diesem bedeutsamen Ereignis haben wir weltweit eine bisher nie dagewesene ideologische Offensive gegen den Marxismus erlebt. Der Mauerfall wird als der entscheidende Beweis für den Tod des Kommunismus, des Sozialismus und des Marxismus gehalten. Vor nicht zu langer Zeit wurde er sogar als das Symbol für das Ende der Geschichte präsentiert. Aber seit diesem Zeitpunkt hat sich das Rad der Geschichte mehrmals gedreht.

Das Argument, dass seither das kapitalistische System die einzige Alternative für die Menschheit ist, hat sich als unglaubwürdig erwiesen. Am 20. Jahrestag des Zusammenbruchs des Stalinismus befindet sich der Kapitalismus selbst in der schlimmsten Rezession seit der Weltwirtschaftskrise. Vielen Menschen sehen sich mit einer Zukunft konfrontiert, in der Arbeitslosigkeit, Armut, Kürzungen und Entbehrung das tägliche Leben bestimmen.
Die bösartige antikommunistische Kampagne wird momentan noch verstärkt. Der Grund dafür ist leicht zu verstehen. Die weltweite Krise des Kapitalismus führt dazu, dass die "Marktwirtschaft" immer häufiger in Frage gestellt wird. Das Interesse an marxistischen Ideen lebt wieder auf, was die herrschende Klasse natürlich beängstigt. Die neue Verleumdungskampagne ist eine Widerspiegelung ihrer Angst.

Karikatur des Sozialismus

In Russland und Osteuropa scheiterte nicht der Kommunismus oder Sozialismus, wie ihn Marx oder Lenin sich vorgestellt hatten, sondern eine bürokratische und totalitäre Karikatur. Lenin erklärte, dass die Entwicklung in Richtung Sozialismus eine demokratische Kontrolle von Industrie, Gesellschaft und Staat durch das Proletariat erfordert. Ein wirklicher Sozialismus ist unvereinbar mit der Herrschaft einer privilegierten bürokratischen Elite, die von einer kolossalen Korruption, Vetternwirtschaft, Verschwendung, Misswirtschaft und von Chaos begleitet wird.

Die verstaatlichten geplanten Ökonomien in der UdSSR und Osteuropa erreichten in den Bereichen der Industrie, der Wissenschaft, der Gesundheit und der Bildung erstaunliche Ergebnisse. Aber wie Trotzki bereits 1936 vorhersagte, würde das bürokratische Regime die verstaatlichte geplante Wirtschaft endgültig untergraben und den Weg für deren Zusammenbruch und die Rückkehr des Kapitalismus vorbereiten.

In den 1980er Jahren hatte die UdSSR mehr WissenschaftlerInnen als die USA, Japan, Britannien und die BRD zusammen und war trotzdem nicht in der Lage, die gleichen Ergebnisse zu erzielen wie der Westen. In den lebenswichtigen Bereichen der Produktivität und des Lebensstandards hinkte die UdSSR dem Westen hinterher. Der Hauptgrund dafür war die enorme Last, die der sowjetischen Wirtschaft von der Bürokratie aufgebürdet wurde, d.h. von den Millionen gierigen und korrupten Funktionären, welche die UdSSR regierten, ohne von der Arbeiterklasse kontrolliert zu werden.

Die erdrückende Rolle der Bürokratie führte schließlich zu einem Niedergang der Wachstumsraten in der UdSSR und das Zurückfallen des Landes hinter dem Westen. Die Kosten für die Aufrechterhaltung der Militärausgaben und die Knebelung Osteuropas belasteten die sowjetische Wirtschaft zusätzlich.
Gorbatschow repräsentierte den Flügel der Sowjetbürokratie, der für Reformen von oben stand, um das Regime als Ganzes zu erhalten. Die Situation verschlechterte sich aber unter Gorbatschow und führte unmittelbar zu einer Krise, welche unmittelbare Auswirkungen auf Osteuropa hatte, wo die Krise des Stalinismus durch die nationale Frage verschärft wurde.

Gärung in Osteuropa

Im Jahre 1989 verbreitete sich eine Welle der Rebellion von einer Hauptstadt in die nächste und stürzte ein stalinistisches Regime nach dem anderen. In Rumänien wurde Ceausescu von der Revolution gestürzt und hingerichtet. Ein Schlüsselfaktor für die Volksaufstände war die Krise in der UdSSR. In der Vergangenheit hatte Moskau die Rote Armee geschickt, um Aufstände in der DDR (1953), Ungarn (1956) und der CSSR (1968) niederzuschlagen. Aber Gorbatschow war klar, dass diese Option nicht mehr möglich war.

Die Massenstreiks in Polen zu Beginn der 1980er Jahre waren ein früher Ausdruck für die Sackgasse, in dem sich das Regime befand. Wenn diese hervorragende Bewegung von echten MarxistInnen angeführt worden wäre, hätte sie den Boden für eine politische Revolution bereiten können, und das nicht nur in Polen, sondern in ganz Osteuropa. Aber da eine derartige Führung fehlte, wurde die Bewegung von konterrevolutionären Elementen wie Lech Walesa in die Irre geführt.

Anfangs versuchten die polnischen Stalinisten die Bewegung mit Unterdrückungsmaßnahmen niederzuhalten, aber schließlich wurde die Solidarnosc legalisiert und es wurde ihr gestattet an den Parlamentswahlen vom 4. Juni 1989 teilzunehmen. Es folgte ein politisches Erdbeben. Die Kandidaten der Solidarnosc gewannen allen ihnen zugestandenen Sitze. Dies hatte eine starke Auswirkung auf die Nachbarstaaten.

In Ungarn hatte man frühzeitig erkannt, was bevorstand und Janos Kadar wurde 1988 als Generalsekretär der KP abgelöst und das Regime akzeptierte ein "Demokratiepaket" einschließlich Wahlen. Die CSSR war kurze Zeit später betroffen und die Zahl der Demonstranten stieg von 200.000 am 19. November 1989 auf eine halbe Millionen am folgenden Tag. Am 27. November kam es zu einem zweistündigen Generalstreik.

Diese dramatischen Ereignisse markierten einen bedeutenden Wendepunkt in der Geschichte. Fast ein halbes Jahrhundert hatten die Stalinisten nach dem 2. Weltkrieg Osteuropa mit eiserner Hand regiert. Ihre monströsen Parteien wurden von einem mächtigen Unterdrückungsapparat von Armee, Polizei, Geheimpolizei und Spitzel in jedem Häuserblock, jeder Schule und Universität sowie jeder Fabrik gestützt. Es schien fast unmöglich, dass Volksaufstände jemals in der Lage sein könnten, die Macht eines totalitären Staates und seiner Geheimpolizei erfolgreich zu stürzen. Aber im Augenblick der Wahrheit erwiesen sich die scheinbar unbesiegbaren Regime als Riesen auf tönernen Füßen.

Die DDR

Die DDR war von allen osteuropäischen Regimes industriell und technologisch am höchsten entwickelt. Der Lebensstandard war gut, obwohl er niedriger lag als in der BRD. Es gab eine Vollbeschäftigung und jeder hatte Zugang zu günstigem Wohnraum, kostenloser medizinischer Versorgung und einer qualitativ hohen Bildung.

Jedoch war die Herrschaft eines totalitären Einparteienstaats mit seiner allgegenwärtigen Geheimpolizei, der berüchtigten Stasi, seiner Armee von InformantInnen, seinen korrupten Funktionären und den Privilegien der Elite eine Quelle der Unzufriedenheit. Vor der Errichtung der Berliner Mauer waren ungefähr 2,5 Millionen DDR-BürgerInnen in die BRD übergesiedelt, viele davon über die Grenze zwischen Ost- und Westberlin. Um dieses Ausbluten aufzuhalten, baute das Regime die Berliner Mauer.

Durch die Mauer und weitere Grenzbefestigungen entlang der 1378 km langen Grenze zwischen der DDR und der BRD wurde der Exodus eingedämmt. Diese Maßnahme trug wahrscheinlich zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums in der DDR bei, verursachte andererseits Leid und Not bei den Familien, die von der Teilung betroffen waren, und war schließlich ein Propaganda-Geschenk für den Westen, der die Mauer als ein weiteres Beispiel für die "kommunistische Tyrannei" präsentierte.

Am Ende der 1980er Jahre war die Lage in der DDR explosiv. Der Altstalinist Erich Honecker war ein unerbittlicher Gegner von Reformen. Sein Regime verbot sogar die Verbreitung "subversiver" Publikationen aus der UdSSR. Am 6. und 7. Oktober besuchte Gorbatschow die DDR, um den 40. Jahrestag des Landes zu begehen, dabei übte er Druck auf die SED-Führung, um Reformen zu akzeptieren. Er sagte damals: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben."

Zu diesem Zeitpunkt bestand unter den BürgerInnen der DDR eine unverblümte rebellische Stimmung. Oppositionelle Gruppen sprossen wie Pilze aus dem Boden. Dazu gehörten das 'Neue Forum', der 'Demokratische Aufbruch' und 'Demokratie Jetzt'. Die größte Oppositionsbewegung entstand bei einem protestantischen Gottesdienst in der Nicolai-Kirche in Leipzig, wo sich BürgerInnen montags nach dem Gottesdienst versammelten und Veränderungen in der DDR forderten. Diese Bewegungen waren jedoch konfus und politisch naiv.
Eine Welle von Massendemonstrationen fegte durch die ostdeutschen Städte und erlangte besonders in Leipzig eine enorme Stärke. Hunderttausende Menschen schlossen sich den Demonstrationen an. Das Regime geriet in eine Krise, die zur Ablösung des stalinistischen Betonkopfes Erich Honecker und zum Rücktritt des gesamten Kabinetts führte. Unter dem Druck der Massenbewegung rief der neue SED-Führer Egon Krenz demokratische Neuwahlen aus. Aber die vom Regime vorgeschlagenen Reformen waren zu gering und kamen zu spät.

Die "kommunistischen" Führer erwägten Gewalt anzuwenden, änderten aber nach einer Intervention Gorbatschows ihre Meinung. Die Ereignisse gerieten nun außer Kontrolle. In den nächsten Tagen herrschten beinahe anarchische Verhältnisse: Die Geschäfte blieben Tag und Nacht geöffnet und ein DDR-Pass diente als Freifahrtschein für den öffentlichen Personenverkehr. Ein Beobachter drückte es wie folgt aus: "Im Allgemeinen gab es in jenen Tagen mehr Ausnahmen als Regeln." Die Macht lag auf der Straße, aber es gab niemanden, der sie aufheben wollte.

Angesichts der Massendemonstrationen brach der scheinbar allmächtige DDR-Staat wie ein Kartenhaus zusammen. Nach einigen Wochen der Massenunruhe kündigte die DDR-Regierung am 9. November 1989 an, dass alle BürgerInnen die BRD und Westberlin besuchen konnten. Dies war das Signal für eine neue Masseneruption. Spontan kletterten die Menschen massenhaft auf die Mauer und überquerten sie, wobei sich ihnen Westberliner auf der anderen Seite anschlossen.

Konterrevolution

Die Berliner Mauer war ein Symbol und ein Kristallisationspunkt für alles, was am DDR- Regime gehasst wurde. Die Zerstörung der Mauer begann ziemlich spontan. In den folgenden Wochen wurden Teile der Mauer abgemeißelt. Später wurde schweres Gerät eingesetzt, um die letzten Reste zu entfernen. Es herrschte eine Feiertagsatmosphäre, eine euphorische Stimmung, die mehr an Karneval erinnerte als an eine Revolution. Aber das hat bisher auch auf die frühen Stadien aller Revolutionen seit 1789 zugetroffen.

Im November 1989 war die Bevölkerung der DDR von einer emotionalen Stimmung überwältigt - ein Gefühl der Befreiung, das von einem allgemeinen Gefühl des Stolzes durchsetzt war. Es war so, als ob eine ganze Nation sich in einem Rausch befand und aus diesem Grund für Anregungen und plötzliche Impulse offen war. Der Sturz des alten Regimes war einfacher gewesen als man zu glauben gewagt hatte. Aber nach dem Sturz stellte sich die Frage, was an seine Stelle treten sollte. Die Massen hatten das alte Regime gestürzt und wussten genau, was sie nicht wollten, hatten aber auch keine genauen Vorstellungen, was sie wollten und niemand zeigte ihnen einen Ausweg.

Alle objektiven Bedingungen für eine politische Revolution lagen nun vor. Die große Mehrheit der Bevölkerung wollte keine Wiederherstellung des Kapitalismus. Sie wollte einen echten Sozialismus mit demokratischen Rechten, ohne Stasi, ohne korrupte Bürokraten und ohne die Diktatur eines Einparteienstaats. Wenn es eine wirkliche marxistische Führung gegeben hätte, hätte es zu einer politischen Revolution und der Errichtung einer Arbeiterdemokratie kommen können.

Der Fall der Berliner Mauer endete jedoch nicht mit einer politischen Revolution, sondern mit einer Konterrevolution in Form der Vereinigung mit der BRD. Diese Forderung hatte zu Beginn der Demonstrationen keine herausragende Bedeutung. Da jedoch die Führung kein klares Programm besaß, wurde der Ruf nach der Vereinigung laut und nahm allmählich die zentrale Rolle an.
Die meisten OppositionsführerInnen hatten kein klares Programm oder politische Perspektiven, außer dem Wunsch nach Demokratie und Bürgerrechten. Wie die Natur verabscheut die Politik kein Vakuum. BRD-Kanzler Helmut Kohl war ein aggressiver Repräsentant des Imperialismus. Er wandte die perfideste Bestechungsmethode an, um von der DDR-Bevölkerung die Zustimmung für eine sofortige Vereinigung zu erhalten, als er ihnen den Umtausch der Ostmark in D-Mark zu einem Kurs von 1:1 anbot. Kohl aber sagte den Menschen in der DDR nicht, dass die Vereinigung nicht bedeutete, dass sie denselben Lebensstandard haben würden wie die Westdeutschen.

Im Juli 1990 wurden die letzten Hindernisse für die deutsche Vereinigung beiseite geräumt, als Gorbatschow zustimmte, die sowjetischen Vorbehalte für ein vereinigtes Deutschland als NATO-Mitglied fallenzulassen und dafür im Gegenzug substanzielle wirtschaftliche Hilfe für die UdSSR erhielt. Die Vereinigung wurde formal am 3. Oktober 1990 vollzogen.

Die Massen wurden betrogen

Die Bevölkerung der DDR wurde betrogen. Ihr wurde nicht gesagt, dass die Einführung einer Marktwirtschaft Massenarbeitslosigkeit, Fabrikschließungen und die faktische Zerstörung großer Teile der industriellen Basis der DDR, einen generellen Preisanstieg und die Entmutigung großer Teile der Jugend zur Folge haben würde, oder dass sie als BürgerInnen zweiter Klasse in ihrem eigenen Land betrachtet würde. Das alles wurde den Menschen nicht mitgeteilt, sie mussten es durch bittere Erfahrungen herausfinden.

Die Vereinigung führte zu einem katastrophalen Zusammenbruch des ostdeutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP), das 1990 um 15,6% und 1991 um 22,7% und schließlich um ein Drittel fiel. Millionen Arbeitsplätze gingen verloren. Viele DDR-Fabriken wurden von westdeutschen Konkurrenten aufgekauft und dicht gemacht. Ab 1992 folgten vier Jahre wirtschaftliche Erholung, danach schloss sich eine Stagnationsphase an.

Vor dem 2.Weltkrieg lag das ostdeutsche BIP pro Person leicht über dem deutschen Durchschnitt und damals wie auch zu DDR-Zeiten war Ostdeutschland wohlhabender als die anderen ostdeutschen Staaten. Aber 20 Jahre nach der Vereinigung liegt der Lebensstandard in Ostdeutschland weit hinter dem Westdeutschlands zurück. Die Arbeitslosigkeit ist doppelt so hoch wie im Westen und die Löhne sind bedeutend niedriger.

In der DDR war die Arbeitslosigkeit praktisch unbekannt. Aber die Zahl der Arbeitsplätze sank von 1989 bis 1992 um 3,3 Millionen. Das BIP liegt nicht wesentlich über dem von 1989 und die Beschäftigtenzahlen liegen bei 60% von 1989. Gegenwärtig liegen die Arbeitslosenzahlen für die gesamte BRD bei 8%, für Ostdeutschland jedoch bei 12%. Nichtamtliche Statistiken sprechen sogar von 20% und 50% bei den Jugendlichen. Frauen, die in der DDR einen hohen Grad an Gleichheit erreicht hatten, haben, wie auch in den anderen osteuropäischen Staaten, am meisten gelitten. Soziökonomische Daten für Mitte der 1990er Jahre besagen, dass 15% der weiblichen und 10% der männlichen Bevölkerung in der ehemaligen DDR arbeitslos waren.

1990 versprach „Einheitskanzler“ Kohl: "Durch eine gemeinsame Anstrengung wird es uns gelingen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Sachsen und Thüringen schon bald wieder in blühende Landschaften zu verwandeln (…)." Fünfzehn Jahre später musste ein BBC-Bericht zugeben, "dass die Statistik trostlos ist". Trotz einer Kapitalspritze von 1,25 Billionen Euro lag die Arbeitslosenrate im Osten 2005 immer noch bei 18,6% (d. h. vor der gegenwärtigen Wirtschaftskrise) und in vielen Regionen bei über 25%.
Halle in Sachsen-Anhalt, das einst ein Zentrum der chemischen Industrie mit mehr als 315.000 Einwohnern war, hat fast ein Fünftel seiner BürgerInnen verloren. Vor dem Mauerfall arbeiteten im "Chemie-Dreieck" Leuna-Halle-Bitterfeld 100.000 Menschen, heute gibt es gerade noch 10.000 Arbeitsplätze. In Gera waren vor der Wende eine bedeutende Textil- und Waffenindustrie und der Uranabbau angesiedelt. All das gibt es nicht mehr und beinahe alle ehemaligen staatseigenen Betriebe sind seit 1989 stillgelegt worden.

Das pro Kopf BIP von 49% des Westniveaus 1991 stieg 1995 auf 66%, seit diesem Zeitpunkt gab es keine weitere Annäherung. Die Wirtschaft wuchs jährlich um 5,5%, aber das führte nicht zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Infolge dessen verlassen immer Menschen die ehemalige DDR, seit der Vereinigung sind 1,4 Millionen nach Westdeutschland gezogen, in der Mehrheit junge und gebildete. Die Auswanderung und ein starker Rückgang bei der Geburtenrate haben dazu geführt, dass die Bevölkerungszahlen in Ostdeutschland seit 1989 zurückgegangen sind.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass 20 Jahre nach der Vereinigung die Menschen aus Ostdeutschland nicht vor der Stasi fliehen, sondern um der Arbeitslosigkeit zu entkommen. Natürlich gibt es auch einige, die vermögend geworden sind. Im BBC-Bericht heißt es: "Großbürgerliche Häuser, von denen viele bis 1989 Munitionslöcher aus dem 2. Weltkrieg aufwiesen, haben ihre alte Pracht wiedererlangt."

Der Marxismus wird zu neuem Leben erweckt

Wie viele andere ehemalige DDR-Bürger sagt Ralf Wulff, dass er über den Fall der Mauer und die Ablösung des Kommunismus durch den Kapitalismus erfreut gewesen sei. Die Euphorie habe aber nicht lange angehalten. "Es dauerte nur einige Wochen, um festzustellen, worum es bei der freien Marktwirtschaft ging", sagte Wulff. "Sie bedeutet ungezügelten Materialismus und um Ausbeutung. Menschen bleiben auf der Strecke. Wir hatten nicht die materiellen Annehmlichkeiten. aber der Kommunismus bot doch einiges, was wertvoll war."
Hans-Jürgen Schneider, ein 49-jähriger ausgebildeter Ingenieur, ist seit Januar 2004 arbeitslos. Er hat seitdem 286 Bewerbungen abgeschickt, ohne bisher Erfolg gehabt zu haben. „Die Marktwirtschaft kann unsere Probleme nicht lösen", sagt er. „Das Großkapital reißt die Profite an sich, ohne Verantwortung zu übernehmen." Mit seiner Meinung steht er nicht allein. „Der Spiegel“ schreibt, dass 73% aller Ostdeutschen glauben, dass Karl Marx' Kritik am Kapitalismus immer noch seine Gültigkeit hat.

Eine weitere Umfrage, die im Oktober 2008 in der Zeitschrift „Super Illu“ veröffentlicht wurde, besagt, dass 52% der Ostdeutschen glauben, dass die Marktwirtschaft "ungeeignet" und "heruntergewirtschaftet" ist. 43% würden ein sozialistisches Wirtschaftssystem vorziehen, denn es "schützt die kleinen Leute vor Finanzkrisen und andere soziale Ungerechtigkeiten". 55% lehnen Rettungsaktionen für die Banken ab.

Von den jungen Leuten zwischen 18 und 28 Jahre, die nie oder nur kurz in der DDR lebten, wollten 51% den Sozialismus. Die Zahl bei den 30- bis 49-jährigen liegt bei 35%, bei den über 50-jährigen bei 46%. Diese Ergebnisse werden immer wieder in Interviews mit normalen ostdeutschen BürgerInnen bestätigt. "Wir lasen über die Gräueltaten des Kapitalismus in der Schule. Das hat sich als richtig herausgestellt. Marx hatte absolut Recht", sagte Thomas Pivitt, ein 46-jähriger Computerspezialist aus Ostberlin. „Das Kapital“ war für den Karl-Dietz-Verlag ein absoluter Bestseller, von dem 2008 über 1500 Exemplare verkauft wurden, drei Mal so viel wie 2007.

"Jeder dachte, es gäbe nie wieder eine Nachfrage nach ‚Das Kapital’," sagte der geschäftsführende Direktor Jörn Schütrumpf. "Sogar Banker und Manager lesen ‚Das Kapital’, um zu verstehen, was sie uns angetan haben. Marx ist momentan definitiv aktuell." Die Krise hat viele Deutsche sowohl im Westen als auch im Osten überzeugt, dass das System versagt hat. "Ich glaubte, der Kommunismus sei Mist, aber der Kapitalismus ist wesentlich schlimmer," erklärte der 76-jährige ehemalige Hufschmied Hermann Haibel. "Der freie Markt ist brutal. Der Kapitalist will immer mehr herausquetschen. Mir ging es ganz gut vor dem Mauerfall", fügte er hinzu. "Niemand machte sich Sorgen um Geld, denn Geld war nicht das, was wirklich zählte. Du hattest einen Arbeitsplatz, selbst wenn du keinen wolltest. Die Idee vom Kommunismus war im Nachhinein betrachtet gar nicht so schlecht."
"Ich glaube nicht, dass der Kapitalismus für uns das richtige System ist", sagte Monika Weber, eine 46-jährige städtische Angestellte. "Die Verteilung des Wohlstands ist ungerecht. Das sehen wir jetzt. Die kleinen Leute, wie ich, müssen wegen der gierigen Banker für das Finanzchaos mit höheren Steuern bezahlen."

Viel bedeutender als Meinungsumfragen waren die Ergebnisse der letzten Bundestagswahlen. Die Partei DIE LINKE erzielte einen deutlichen Stimmenzuwachs und erreichte fast 30% der Stimmen im Osten. Die bürgerlichen Parteien haben hier jetzt keine Mehrheit mehr. Das zeigt, dass die Menschen im Osten keinen Kapitalismus mehr wollen, sondern einen Sozialismus, jedoch nicht die bürokratische und totalitäre Karikatur, die sie hatten, aber einen echten demokratischen Sozialismus, den Sozialismus von Marx, Engels, Liebknecht und Luxemburg.

Quelle: Der Funke